Alle Jahre wieder in den ersten Frühlingstagen füllen sich die Fitnessstudios – und Bewegung hilft nicht nur mit Blick auf den Bauch. Sie macht auch schlau und lindert Symptome neurologischer und psychischer Erkrankungen.
Alle Jahre wieder in den ersten Frühlingstagen füllen sich die Fitnessstudios. Die Pfunde von Plätzchen und Gänsebraten sollen abtrainiert, die Figur in Form getrimmt werden. Viele Menschen betrachten Sport derart funktional.
Doch Bewegung ist weit mehr als eine Speckwegkur. Besonders intensiv wirkt sie kurioserweise auf den Geist, obwohl man beim Sport angeblich eher den Kopf abschaltet. Bewegung lässt den Hippocampus, die Sammel- und Schaltzentrale für Sinneswahrnehmungen, um ein Drittel wachsen und macht sogar schon nach sechs Monaten regelmäßigem Ausdauertraining steigt die Aufmerksamkeit. Die Nervenzellen im Gehirn arbeiten schneller. Gedächtnis und Planungsvermögen verbessern sich, fasst Patrick Smith vom Duke University Medical Center in Durham im US-Bundesstaat North Carolina zusammen, nachdem er 29 Studien mit mehr als 2000 Teilnehmern ausgewertet hatte. Das passt zu früheren Befunden:
Sportliche Schüler haben bessere Noten. Eine gute Koordination geht mit einer guten Konzentration einher. Doch Bewegung rückt mittlerweile sogar in die Liga der Arzneien vor.
Sie „lindert neurodegenerative wie auch psychische Erkrankungen mit strukturellen Veränderungen im Gehirn“, erklärt Neurobiologe Andreas Ströhle von der Berliner Charité. „Regelmäßige Bewegung hilft bei Depressionen, bei Demenz, bei Schizophrenie und Angsterkrankungen„, fasst er zusammen.
Ströhle war selbst von der Wirksamkeit des Sports überrascht. Schon eine halbe Stunde auf dem Ergometer nahm zwölf Patienten mit einer Panikstörung messbar die Angst. Die Teilnehmer empfanden laut eigenen Angaben weniger Furcht.
Die Zahl der Panikattacken sank nach dem Training um mehr als die Hälfte.
Der Wissenschaftler erklärt die angstlösende Wirkung mit einem Hormon, dem atrialen natriuretischen Peptid, das im Herz gebildet wird. Es baut Angst und Stress ab, weiß man aus anderen Experimenten. Der Gehalt dieser Substanz schwillt beim Sport im Blut der Probanden an. „Schon 30 Minuten Bewegung zeigen diesen Effekt, der einige Stunden anhält“, so Ströhle.
Paradoxerweise meiden Menschen mit Angststörungen aber oft Sport, da sie den erhöhten Pulsschlag und den schnelleren Atem als bedrohlich empfinden. In den ärztlichen Leitlinien soll Bewegung aber künftig begleitend zur Psychotherapie und zur Pillenkur empfohlen werden. Ströhle will gar untersuchen, ob es günstig ist, eine Gesprächstherapie von der Couch aufs Ergometer zu verlegen.
Die körperliche Aktivität sorgt auch dafür, dass ein zweites Hormon im Hirn gebildet und ins Blut abgegeben wird, der Nervenwachstumsfaktor BDNF (Brain Derived Neurotrophic Factor). Diese Substanz veranlasst, dass in der Denkzentrale neue Nervenzellen gedeihen und diese miteinander verknüpft werden. Die zelluläre Betriebsamkeit führt ebenfalls zum allmählichen Abbau der Angst.
Der Substanz BDNF schreibt es Frank-Gerald Pajonk, Psychiater an der Privat-Nerven-Klinik in Goslar, zu, dass Patienten mit Schizophrenie ebenfalls vom Ergometerfahren profitieren. Er ließ acht Betroffene dreimal pro Woche für je eine halbe Stunde in die Pedale treten, während eine Kontrollgruppe Tischfußball spielte. Bei Schizophrenie ist der Hippocampus auffällig verkleinert. Nach der dreimonatigen Sportskur legte das Hirnzentrum um zwölf Prozent an Volumen zu. In Aufmerksamkeitstests schnitten die Trainierten besser ab als vorher.
„Nervenzellwachstum ist eine Sache. Aber, dass es nach dem Training auch schon zu funktionellen Veränderungen kommt, ist ein bemerkenswerter Erfolg“, erklärt Pajonk. Einheiten am Kickertisch hinterließen dagegen keine Spuren im Gehirn. „Wir haben bei Schizophrenie kaum wirksame Medikamente. Dagegen sehen wir mit Sport schon nach drei Monaten moderate Effekte“, so Pajonk.
Im Unterschied zu Tabletten hat das Radeln keine Nebenwirkungen.
Beeindruckt von den Effekten sportlicher Aktivität bei seinen Patienten war auch der Freiburger Psychiater Mathias Berger. „Gerade bei leichten Depressionen kann Sport und Bewegung maßgeblich zur Stimmungsaufhellung beitragen„, sagt er. Der Grund dafür sei letztendlich noch ungeklärt, es werde aber ein Zusammenhang zu den körpereigenen, beim Sport freigesetzten Glückshormonen, den Endorphinen, vermutet. „Außerdem hilft die Bewegung den Menschen aus ihren Grübelschleifen heraus und vermittelt Erfolgserlebnisse.“
Hoffnungen wecken auch Studien bei Demenzkranken. Sport kann ihre geistige Leistungsfähigkeit leicht verbessern, obwohl der kognitive Verlust an sich nicht gestoppt wird. Dazu sind aber auch gängige Medikamente nicht imstande.